Deutschland, quo vadis? Teil I: Regierung

Schwarz-Gelb nun also. Nach einem Wahlabend der Superlative herrscht Katerstimmung bei vielen. Eine Mitte-rechts Koalition schürt bei Teilen der Bevölkerung große Befürchtungen: CDU/FDP werden den sozialen Kahlschlag betreiben, den Staat mit ihren Steuerversprechen in die Pleite treiben, gar den Sozialstaat beerdigen. Andere träumen von Entlastungen für die Mittelschicht, einer großen Unternehmenssteuerreform oder auch vom Wiedereinstieg in die Atomenergie. Die Frage, ob und wenn ja wann große Reformen von dieser Regierung zu erwarten sind, wird heiß diskuttiert.

Die Ausgangsposition für solche Reformen ist jedenfalls gut. Denn durch den Wahlsieg in Schleswig-Holstein haben CDU und FDP nicht nur eine Bundestags-, sondern auch eine Bundesratsmehrheit. Damit kann die Kanzlerin zusammen mit Westerwelle „durchregieren“ und Steuersenkungen und Einschnitte in das Sozialsystem ohne zähe Bundesrat-Verhandlungen mit der SPD oder den Grünen durchsetzen. Schon kurz nach den Koalitionsverhandlungen wären große Reformen möglich – mit einem Führungsstil im Sinne eines Machiavellis: Wenn du als Herrscher „Unrechte“ planst, so begehe sie alle zu Beginn deiner Herrschaft. CDU und FDP könnten ihr Wahlprogramm ohne parlamentarischen Widerstand durchsetzen.

Freilich, dazu wird es nicht kommen. Denn wenn die Koalition tatsächlich große Entscheidungen wie eine breite Steuerreform trifft, wird sie diese auch gegen finanzieren müssen – und dies wird zu unpopulären Kürzungen führen. Die Quittung dafür gebe es im Mai in Nordrhein-Westfalen: Dort stehen nämlich Landtagswahlen an, die einen Verlust der Bundesratsmehrheit bedeuten würden, sollte Rüttgers nicht wiedergewählt werden. Die Opposition würde von Maßnahmen zu Lasten der Geringverdienenden, die in NRW einen überdurchschnittlich hohen Teil der Wählerschaft ausmachen, profitieren. Schon nach wenigen Monaten wäre Merkels Traum vom „Durchregieren“ vorbei.

Angela Merkel ist jedoch eine viel zu kühne Machtpolitikerin, als dass sie jetzt nach der Wahl Entscheidungen trifft, die Jürgen Rüttgers Macht in NRW gefährden könnten. Eine Wahlschlappe dort könnte nämlich an ihrer Position innerhalb der Union, die nach dem schlechten Ergebnis vom Sonntag ohnehin geschwächt ist, weiter nagen. Außerdem möchte sie auch in der neuen Koalition ihren sachlichen Stil behalten, der ihr eine hohe Popularität eingebracht hat – immerhin hat dieser Kanzlerinnenbonus einen noch herberen Stimmverlust verhindert. Schon jetzt dürfte ihr der Gedanke, eine starke Opposition gegen sich zu haben, Kopfschmerzen bereiten. Eine Stärkung der linken Parteien durch eine Mitbestimmung im Bundesrat würde die Opposition noch weiter stärken: Forderungen oder gar Blockaden der Opposition im Bundesrat könnten Merkels „Kanzlerin aller Deutschen“-Image gefährden und sie zur machtarmen, von Bundesrats-Gnaden abhängigen Pseudo-Kanzlerin degradieren – gewiss keine Rolle, in die sie gerne schlüpfen will.

Viel wird sich nach der Wahl also nicht tun. Es werden wohl eine Minderung der kalten Progression und leichte Veränderungen in den Kinderfreibeträgen und beim Hartz IV Schonvermögen kommen – alles Vorhaben, die bei der breiten Bevölkerung gut ankommen und nicht so kostspielig sind, als dass man groß Schulden machen müsste. Umstrittene Themen wie eine Reform der Sozialsysteme, eine Unternehmenssteuersenkung oder eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken werden allerfrühestens im Juni 2010, noch wahrscheinlicher aber erst nach der Baden-Württemberg Wahl 2011 angepackt werden, um die Bundesratsmehrheit nicht zu gefährden.

Einen konkreten Hinweis, dass diese Vermutungen stimmen, haben heute Recherchen der „Bild“-Zeitung geliefert: Diese berichtet, dass die CDU neben Angela Merkel, Ronald Pofalla und Volker Kauder Jürgen Rüttgers in die Koalitionsverhandlungen mit der FDP schicken will. Und dieser wird sich gewiss nicht dafür einsetzen, seinen eigenen Arbeitsplatz im Mai 2010 an die SPD abzugeben.

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Eine Antwort to “Deutschland, quo vadis? Teil I: Regierung”

  1. bryy Says:

    Machtbalance im Bundesrat: Merkel muss Veto der Unions-Fürsten fürchten
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,657581,00.html

    Das sollte man keinesfalls unterschätzen. Selbst von theoretischem „Durchregieren“ kann nicht die Rede sein, weil der Bundesrat nun einmal nicht nur Partei- sondern vor allem auch Landesinteressen vertritt, die durch (sie belastende) Finanzierungsfragen ggf. verletzt werden.

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